11.7.15

Chinakoller?

So, diesen Blogeintrag schreibe ich jetzt zum zweiten Mal - denn als ich ihn gestern abend hübsch fertig formuliert hatte, wurde er offenbar nicht gespeichert... So langsam gehen mir diese ständigen Internetprobleme ziemlich auf den Keks, ständig funktionieren irgendwelche Webseiten nicht, mal können wir unsere Mails abrufen, mal nicht, das nervt.

Ganz allmählich bekommen wir eh einen Chinakoller; ob das nun an der beständigen Hitze hier liegt, die uns beharrlich bei Tag und Nacht zu zermürben scheint und in der ganz Peking an allen Ecken und Enden zu stinken beginnt - über allem liegt ein Hauch von Kloakengeruch - oder an der beständigen Lärmbeschallung? Chinesen lieben Musik über alles, und da jeder hier alle anderen an seinem Musikgeschmack teilhaben lassen möchte, wird ausschließlich über Handylautsprecher oder gerne sogar verstärkt mit kleinen Boxen die Umgebung beschallt. Und zwar egal, ob Teenie oder Oma auf dem Fahrrad!

Als wir am späten Vormittag aus unserem Hotel Richtung U-Bahn aufbrechen, entdecken wir einen kleinen, dunklen und vollgestopften Laden, der mit buddhistischen Devotionalien handelt. Hier entdecke ich endlich auch eine sich bei Tageslicht selbstständig drehende Gebetsmühle, die in China und in der Mongolei in vielen Autos auf dem Armaturenbrett steht - so etwas muss ich haben! Die beiden sichtlich bekifften Verkäufer, in Mönchsgewänder gehüllt und vom Räucherstäbchenduft benebelt, haben keine rechte Lust auf lange Verhandlungen, so werden wir uns schnell einig.
Doch als wir uns gerade anschicken, das Geschäft wieder zu verlassen, kommt Leben in den einen - er zückt in Windeseile ein (hoffentlich frisches?) Taschentuch und putzt Titus ausgiebig die Nase. Das ist uns hier in China tatsächlich schon oft passiert, dass wildfremde Menschen dem kleinen Kerl die laufende Nase säubern. Einerseits ist das zwar ganz reizend und umsichtig, andererseits wirkt das auf unsereinen doch ein wenig übergriffig, oder?
Ob das wohl an der leichten Hysterie bezüglich Erkältungskrankheiten liegt, an der hier jeder Chinese zu leiden scheint? So tragen zwar entgegen sämtlicher Chinaklischees nicht alle eine Gesichtsmaske, doch in vollen U-Bahnen und Bussen sieht man schon den einen oder anderen mit Mundschutz.

Daran erinnern auch die in U-Bahn-Wagen und auf Bahnhofsscreens allgegenwärtigen Mahnvideos, in schönster Zeichentrickmanier werden hier beständig Verhaltensregeln betont "lustig" unters Volk gebracht. Das gibt es mangaähnliche Comics, die uns vor den Gefahren von nicht ausreichend gekühlten und wieder erwärmten Essensresten warnen, ein Filmchen mahnt an, beim Befahren von Brücken stets auf das zulässige Höchstgewicht seines Fahrzeugs zu achten, doch am schönsten sind die Filme, in denen sich eine Bande Gemüserowdys (!) im öffentlichen Nahverkehr danebenbenimmt - wie zB eine randalierende Zwiebel, die betrunken, stinkend und pupsend in der U-Bahn einschläft und sich schließlich übel wehtut, als sie von der Sitzbank fällt. Diese Comics richten sich allesamt an Erwachsene, ist das zu fassen?!

Wir schwanken jedenfalls immer zwischen großem Amüsement und Kopfschütteln, zumindest werden wir auf der langen U-Bahn-Fahrt gut unterhalten. Nach schier endlosem Fußmarsch durch die brütende Hitze (inzwischen zeigt das Thermometer um die 37 Grad an, und das bei dunstigem Himmel) erreichen wir den nordwestlich vom Zentrum gelegenen Sommerpalast. Der Name ist ein wenig irreführend, bezeichnet er doch eine 350 Hektar große Gartenanlage, die aus 140 Palästen, Pagoden, Wandelgängen, Aussichtstürmchen und Pavillons besteht, in deren Mitte ein großer See liegt. Hier verbrachte der chinesische Kaiser und seine Entourage ab dem 18. Jahrhundert die Sommermonate, um ein wenig der Hitze in der Stadt zu entfliegen. Es ist beeindruckend, und ganz im Gegensatz zur Verbotenen Stadt haben hier die Kommunisten bei der Machtübernahme nicht das gesamte Areal geschleift, so dass man hier viel eher einen Eindruck vom höfischen Leben in der kaiserlichen Umgebung bekommt. Sämtliche Torbögen, Wandelgänge und Wände sind wunderschön bemalt und geschnitzt, die Gärten wunderschön angelegt, und von sämtliche Hügeln blitzen durch die dichten Bäume noch mehr Tempeldächer und Pagoden hindurch.

Doch auch hier sind wir natürlich nicht alleine, mit uns schieben sich mehrere tausend Chinesen durch die Anlage, und sobald wir auch nur eine Sekunde stehenbleiben, scharen sich sofort Grüppchen um Titus, der ziemlich gelangweilt im Kinderwagen sitzt. Als wir im Schatten ein Eis essen, stehen die Chinesen Schlange, um sich bzw. ihre Kinder daneben zu postieren und ein Foto zu schießen. Also bleiben wir lieber in Bewegung, immerhin gibt es hier an den meisten Übergängen Rampen, so dass wir mit dem Kinderwagen einigermaßen vorankommen. Uns ist immer noch unklar, was die Menschen hier so an dem kleinen Kerl reizt, die einen betonen, er würde aussehen wie "eine Puppe", die anderen finden seine weiße Haut (die durch den großzügigen Einsatz von Sonnencreme noch mehr dem hiesigen Schönheitsideal entspricht) ganz zauberhaft, wieder andere seine Ohren. Dabei sind auch die chinesischen Kleinkinder wirklich niedlich, wenn auch meistens ziemlich moppelig.

Pünktlich um 13 Uhr erliegt auf einmal der ganze Trubel; wie überall in ganz Peking versorgen sich nun alle an den vielen Essenständen mit den obligatorischen Nudelsuppen, dargereicht in überdimensionierten Plastik- oder Styroporbechern, das Essen in den Chinesen heilig! Eifrige Müllmänner und -frauen stehen schon bereit, um die Berge an Müll einzusammeln, überhaupt ist es überall in ganz Peking höchst sauber in den Straßen - die Regierung hat die Vollbeschäftigung ausgerufen, und Arbeitskräfte gibt es in China nun wahrlich genug. Wir nutzen die "Ruhe" und füttern Titus, der danach schnell einschläft, und besteigen eines der vielen Ausflugsboote, die auf dem See herumschippern. Hier ist es durch den Fahrtwind einigermaßen auszuhalten, wir passieren ein mächtiges Marmorboot, eine Spielerei der Kaisergattin Cixi, und beschließen, als wir am Bootsanleger ankommen, dass wir nun genug gesehen haben.

Ein wieder endlos langer Fußmarsch liegt vor uns, bis wir endlich die U-Bahn-Station erreichen, die Entfernungen sind immens, zwischen einzelnen Stationen liegen gerne mal mehrere Kilometer. Heute ist die U-Bahn noch voller als in den letzten Tagen, und die recht rüpelhaften Einheimischen haben das Prinzip von "erst aussteigen lassen, dann einsteigen" nicht in vollem Umfang begriffen. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als die Ellbogen ausfahren und wie die echten Pekinger lautstark vor uns hin zu schimpfen, damit klappt es meistens, doch noch einen Platz im Wagen zu ergattern oder um mit dem Kinderwagen durch Menschenmassen hindurch zu manövrieren. Unsere Herumpöbeleien, immer auf Deutsch und gerne sogar im schönsten Schwäbisch, versteht hier zwar keiner, doch der Tonfall scheint einschüchternd genug zu sein. Das müssen wir uns wohl zuhause wieder abgewöhnen.

Auf eine erfrischende Dusche und eine kurze Erholungspause kehren wir zurück ins Hotel, brechen aber schon am späten Nachmittag wieder auf und fahren mit dem Bus ein paar Stationen weit zu einem DVD-Laden, den uns die Hotelchefin empfohlen hat. Hier gibt es jeden nur erdenklichen Film, Arthouse, Serien, Disneyfilme, Kinofilme, Klassiker, Musik-DVDs... Wir decken uns natürlich mit den neuesten Serienstaffeln ein, alle raubkopiert, anscheinend in super Qualität und ziemlich günstig, während Titus unter Aufsicht des Personals die Regale ausräumt.

Dank der guten Beschreibung von Angela finden wir auch das nahegelegene vegetarische Restaurant "Gongdelin", das mit einer mindestens 50 Seiten umfassenden Speisekarte aufwartet, in der alle Gerichte auch mit Foto abgebildet sind. Wie so oft in der chinesischen vegetarischen Küche hat man sich hier auf sogenannte "mock meat dishes" spezialisiert, hierbei wird versucht, Fleisch- und Fischgerichte in Aussehen und Geschmack möglichst originalgetreu zu imitieren. Inzwischen sind wir schon so assimiliert, dass wir wie auch die Chinesen immer gleich mehrere Gerichte bestellen und dann einfach von allem probieren, und so stehen bald gefüllte Dumplings, marinierte Aubergine, "Aal in Sesamsauce" und so eine Art "Fleisch-Tomaten-Eintopf" vor uns. Meinen Geschmack trifft man damit leider nicht, zu nah am "Original" ist der Geschmack und erstaunlicherweise auch der haptische Eindruck, doch zumindest Titus ist glücklich.
Das das Restaurant typisch chinesisch ungemütlich eingerichtet ist, brechen wir recht schnell wieder auf, nicht ohne die restlichen Dumplings für den nächsten Tag eingepackt zu haben - auch das ist ganz typisch in China, da die Portionen immer sehr reichlich sind und viel übrig bleibt, verlässt jeder das Lokal mit einem oder mehreren Styroporbehältern in der Hand.

So sind wir früh zurück im Hotel, und genießen die Vorzüge unseres klimatisierten Zimmers, während es draußen immer noch viel zu warm ist. Titus spielt noch eine Weile, vor allem mit dem neu erstandenen Koffer, der ein- und wieder ausgeräumt wird, und als er endlich im Bettchen liegt, können wir uns noch ein kaltes Bier und eine Folge von "Sherlock" - so richtig weit kommen wir aber nicht, das Titus inzwischen erst nach 22 Uhr schlafen geht, um ihm schon einmal die Zeitverschiebung, die uns nächste Woche erwartet, zu erleichtern.

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